Bundesamt für Justiz
Vernehmlassung
Humanmedizingesetz
3003 Bern
30. Oktober 1995
Vernehmlassungsantwort zum Vorentwurf für ein Humanmedizingesetz
Sehr geehrte Damen und Herren
Als Verein, der sich kritisch mit den Themen Bio-, Gen-, Reproduktionstechnologie
auseinandersetzt, erlauben wir uns die Teilnahme an der Vernehmlassung.
Grundsätzlich möchten wir die geleistete Arbeit und die Bemühungen
um eine relativ
restriktive Lösung auch im Hinblick auf die hängige "Initiative
für menschenwürdige
Fortpflanzung" würdigen.
Trotzdem gibt es im Entwurf noch zahlreiche Unsicherheiten und Lücken,
welche z.T.
bereits die Stimmenden, welche dem Art. 24novies BV zugestimmt haben,
geschlossen
wissen wollten, und die deshalb jetzt zu schliessen sind.
Allgemeines
Wir gehen davon aus, dass Art. 24novies BV und die Zulassung der In-vitro-Fertilisation
vor allem deshalb Zustimmung fanden, weil aufgrund der Debatte und
der
Abstimmungsbotschaft eine Gewissheit aufkam, dass damit alle
Missbrauchsmöglichkeiten im Humanbereich sowie eindeutige ethische
Grenzüberschreitungen (z.B. Embryonenforschung) ausgeschlossen
seien.
Generell muss das Humanmedizingesetz auf unklare Formulierungen, interpretierbare
Ausnahmebestimmungen und Relativierungsmöglichkeiten (wie man
sie zum Teil im
Entwurf zu einer Europäischen Bioethikkonvention finden konnte)
verzichten.
Wir lehnen es ab, einen Unterschied zu machen zwischen "Erzeugen von
Embryonen zu
einem andern Zweck als der Fortpflanzung" und der Tendenz zum Freigeben
überzähliger Embryonen zu Forschungszwecken. Dies würde
zweifellos dem Sinn von
Art. 24novies Abs. 2 BV, welcher Embryonenforschung (und Keimbahntherapie)
als
juristisch nicht möglich darstellt, und damit dem Willen der Stimmenden
klar
widersprechen.
Wir verlangen deshalb ein ausdrückliches, unmissverständliches
und ausnahmsloses
Verbot der Embryonenforschung sowie die Konkretisierung des verfassungsmässigen
Verbots von Keimbahneingriffen und Keimbahntherapie (siehe unten).
Auch die Präimplantationsdiagnostik muss ausdrücklich verboten
werden, denn ob dazu
Art. 5 Abs. 4 ausreicht, ist zweifelhaft.
Die Strafbestimmungen sind entsprechend anzupassen.
Jede Erweiterung oder Lockerung im Sinn des Berichts der Mehrheit der
Studiengruppe "Forschung am Menschen" lehnen wir strikte ab und würden
sie
politisch bekämpfen.
Konkrete Änderungs- und Ergänzungsanträge
Art 4. Abs. 5:
Es muss unmissverständlich definiert werden, was die Formulierung
"dürfen nicht
verwendet werden" bedeutet.
"Nicht verwenden" als was, wozu? Heisst das nur nicht implantieren?
Nicht einsetzen für
andere Zwecke? Nicht beforschen? Nur nicht weiter aufbewahren, aber
dafür beforschen?
Verschenken?
Die Unsicherheit und Interpretierbarkeit gebietet klar "sofort vernichten".
Die sofortige
Vernichtung muss analog zu Art. 15. Abs. 3 und Art. 16 Abs. 2, wo sie
für den Fall eines
Widerrufs (gleich Erlöschens) der Einwilligung in die Konservierung
oder Verwendung der
Keimzellen ausformuliert ist, vorgeschrieben werden.
Nicht klar definiert ist ferner, ob mit dem Tod eines Partners die
Einwilligung in die
Konservierung oder Verwendung der Keimzellen automatisch erlischt.
Art. 5 Abs. 1 Bst. b und Abs. 3:
Den riesigen Ermessensspielraum, was eine schwere unheilbare Krankheit
sei, der
Praxis zu überlassen, ist sehr gefährlich und bedeutet einen
Freipass für jede Form der
eugenischen Indikation. Die Aufnahme einer Positivliste in das Gesetz,
für welche die
Bezeichnung "schwere unheilbare Erbkrankheit" gelten soll, halten wir
für zwingend; eine
allfällig "diskriminierende Wirkung" (S. 45 Begleitbericht) ist
klar das kleinere Übel als die
Schaffung eines Interpretations-Freiraumes. Auf alle nicht genannten
"Krankheiten" wären
somit Art. 5 Abs. 1 Bst. b und Abs. 3 nicht anwendbar.
Art. 5 (Abs. 4)
ist zu konkretisieren im Sinn eines ausdrücklichen und klaren
Verbots der
Präimplantationsdiagnostik.
Art. 15 Abs. 1:
Was hat nach der Frist, während welcher Keimzellen aufbewahrt
werden dürfen, mit
diesen zu geschehen? Es stellen sich die gleichen Fragen wie unter
Art. 4 Abs. 5
beschrieben.
Deshalb muss auch nach dem Verstreichen der Aufbewahrungsfrist die
sofortige
Vernichtung der Keimzellen vorgeschrieben werden (mit Vorbehalt Abs.
2).
Art. 17:
Der Umgang mit den vorderhand noch immer entstehenden überzähligen
Embryonen ist
nicht geregelt. Gemäss BV kann und darf es sie gar nicht geben,
was auch dem
Verständnis der Stimmenden entspricht. Da überzählige
Embryonen aus "technischen"
Gründen nicht ganz vermeidbar sind, muss der Umgang damit geregelt
werden.
Um dem Sinn der Verfassung gerecht zu werden, müssen überzählige
Embryonen, die
nicht für einen späteren Transfer im Ausnahmefall gemäss
Art. 17 Abs. 2 verwendet
werden, sofort vernichtet werden. Diese Vorschrift ist dem Gesetz beizufügen.
Abschnitt
3 muss eventuell neu mit "Umgang mit Keimgut und Embryonen" überschrieben
werden.
Art. 33:
Abs. 3 setzt Abs. 1 vollständig ausser Kraft, denn Keimbahneingriffe
sind immer eine
medizinische Massnahme! Die Relativierung kommt einer generellen Straflosigkeit
der
Keimbahntherapie gleich! Zudem fehlt im Abschnitt 3 ein entsprechender
Artikel zur
nötigen Konkretisierung von Art. 24novies Abs. 2 Bst. a. Denn
gemäss BV sind alle
Eingriffe in Keimzellen und Embryonen verboten, nicht nur "verändernde".
In Art. 33 Abs. 3 ist zwingend eine Positivliste aufzunehmen, welche
die gemeinten
"medizinischen Massnahmen" definiert (z.B. Tumor-Bestrahlung im Bereich
der
Keimdrüsen).
Ausserdem muss die Formulierung lauten
"..., wenn die Veränderung von Keimbahnzellen unvermeidliche Begleiterscheinung
einer
der genannten medizinischen Massnahmen ist".
Art. 35:
Mit der Begrenzung der Busse auf 100'000 Fr. besteht die Möglichkeit,
dass
beispielsweise ein Institut, das sich von der Missachtung der in Art.
35 genannten Artikel
erhebliche Gewinne erhoffen kann, die Busse gegen einen angeklagten
Institutsangehörigen übernimmt und bewusst einkalkuliert.
Die Busse jedenfalls dürfte als
zu wenig abschreckend wirken.
Art. 37:
Die Mitglieder der Ethikkommission sollen "bei der Wahrnehmung ihrer
Aufgabe
unabhängig" sein. Für die Wahrung dieser Unabhängigkeit
ist es nötig, bei der
Beurteilung und Wahl der Kommissionsmitglieder sicherzustellen, dass
kein Mitglied sich
erhoffen kann, durch die Abgabe von (insbesondere liberalen) Empfehlungen
Impulse für
seine eigene Tätigkeit oder die seines nahen Umfelds auszulösen
oder damit eventuell
seinen prestigemässigen oder materiellen Erfolg zu begünstigen.
Wir schlagen die
Aufnahme eines in diesem Sinn konkretisierenden Artikels vor.
Art. 38:
Eine reine Expertenkommission kann ihre gesetzmässig definierten
Aufgaben nicht
neutral wahrnehmen. Ihr fehlt die demokratische Legitimation. Die Zusammensetzung
muss deshalb explizit nicht nur medizinische Laien, sondern Laien generell
vorsehen. Ein
"besonderes Verständnis für ethische Fragen" hat automatisch
jede Person, die sich -
beruflich oder nichtberuflich - mit solchen befasst.
Wir fordern die Abänderung des Artikels in diesem Sinn.
Mit freundlichen Grüssen
Vorstand gentechkritisches Forum GenAu