Die Ablehnung der Gentechnik in der Landwirtschaft hat
sich weltweit ausgebreitet.
Von Helga Kessler
Forscher der ETH Zürich teilten vergangenen Freitag im
Wissenschaftsmagazin "Science" mit, dass sie Reis
gentechnisch so verändert hätten, dass das Korn die Vorstufe
für das Vitamin A enthalte. Damit könnte das Erblinden von
Millionen von Kindern in der Dritten Welt verhindert werden,
betonten die Forscher den Nutzen ihrer Gentech-Frucht.
Einen Tag zuvor meldete das Fachblatt "Nature", dass nach
vielen anderen europäischen Ländern auch Portugal den
Anbau von gentechnisch verändertem Mais der Firmen
Monsanto und Novartis untersage. Man "sorge sich um
mögliche Umweltrisiken eines grossflächigen Anbaus", lautet
die Begründung.
Bessere Produkte, keine Kunden
Die beiden Meldungen der vergangenen Woche illustrieren das
Dilemma, in dem die so genannte grüne Gentechnik steckt:
Zwar werden die Produkte der Geningenieure immer besser,
doch immer weniger Länder wollen deren Anbau erlauben. In
Europa geht für den kommerziellen Anbau von gentechnisch
veränderten Pflanzen derzeit gar nichts. Und obwohl
Drittweltländer gerne als Nutzniesser "gentechnisch
optimierter" Pflanzen genannt werden, wehren sich
beispielsweise Indien und Thailand gegen die Produkte aus
den hoch entwickelten Ländern, weil sie um den Bestand ihrer
eigenen natürlichen Sorten fürchten.
Die Kritik an der Gentechnik hat sich epidemieartig
ausgebreitet. Inzwischen hat sie auch die Vereinigten Staaten
erreicht. Im Dezember reichten amerikanische Bauern eine
Sammelklage gegen Monsanto ein, den weltweit grössten
Hersteller von gentechnisch verändertem Saatgut.
Begründung: Der Konzern hätte sie über die Sicherheit der
Gentech-Produkte getäuscht und versuche über ein Kartell die
Preise zu kontrollieren. Bereits im Sommer hatten die
US-Landwirte aufgemuckt, weil sie wegen der Importverbote in
europäischen Ländern ernste Schwierigkeiten hatten, ihre
Ernte loszuwerden. Es gibt keinen Zweifel mehr: Die grüne
Gentechnik steckt in einer schweren Krise. Und es ist
fraglich, ob sie diese überlebt.
Dabei hatte es für die Agroindustrie so viel versprechend
ausgesehen, als im Jahr 1996 die ersten Feldfrüchte aus dem
Genlabor im Eiltempo die amerikanischen Äcker erorberten.
Jedes vierte in Amerika geerntete Maiskorn und etwa jede
dritte Sojabohne entstammen heute gentechnisch veränderten
Pflanzen. Und lange Zeit sah es so aus, als würden sich die
Genfrüchte auch auf Europas Feldern ausbreiten. Doch dann
kam ein Rückschlag nach dem andern.
Die Protestwelle erhebt sich im Winter 1996, als aus Amerika
die erste Ernte gentechnisch veränderter Sojabohnen,
vermischt mit herkömmlichem Soja, in Europa eintrifft.
Verbraucher- und Umweltverbände fordern eine klare
Kennzeichnung von Genfood. Unter dem Druck der Verbände
erklären zahlreiche Supermarktketten, dass sie keine
Genprodukte verkaufen wollen, und nehmen diese aus den
Regalen. In Umfragen sprechen sich EU-Bürger gegen Anbau
und Verkauf genmanipulierter Pflanzen aus - den Anfang
machen die Österreicher und die Deutschen, es folgen die
Briten, prominent unterstützt von Thronfolger Charles. Von den
Regierungen hagelt es Verbote: Im Februar 1997 verbieten
Österreich und Luxemburg den Verkauf von Gentech-Mais. Im
September 1998 hebt Frankreich die Anbauerlaubnis für
Gentech-Mais auf, ebenso die für Gentech-Raps. Die
englische Regierung verkündet im Oktober 1998 ein
dreijähriges Moratorium für insektenresistente Pflanzen. Im
Juni 1999 beschliessen die EU-Umweltminister, die
Freisetzung und Vermarktung gentechnisch veränderter
Organismen nur noch zeitlich begrenzt zuzulassen, um auf
Spätfolgen reagieren zu können. Bis die Freisetzungsrichtlinie
überarbeitet ist, gilt in Europa ein De-facto-Moratorium.
Wer nach Gründen für die Ablehnung sucht, findet mehr
Fragen als Antworten. Die wenigen wissenschaftlichen
Studien, die es gibt, nähren allerdings die Bedenken der
Kritiker. So zeigten Versuche, dass Maispflanzen, die das
Gen für das Gift des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis
enthielten, auch Nützlingen wie dem Monarchfalter oder der
Florfliege schadeten. Andere Experimente ergaben, dass der
Bt-Mais das Insektengift auch in den Boden abgibt - mit
ungeahnten Folgen für Bodenbakterien. Unbestritten ist, dass
Schädlinge irgendwann gegen das Bt-Toxin resistent werden -
die Frage ist nur, wie lange das dauert. Tragisch könnte das
vor allem für die Biobauern werden, die das natürliche Gift seit
langem einsetzen. Bewiesen ist, dass gentechnisch
veränderte Pflanzen ihre Eigenschaften auf verwandte
Wildpflanzen übertragen können - aber entstehen daraus
"Superunkräuter", wie die Kritiker fürchten? Tatsächlich
kann
derzeit niemand beantworten, ob die Gentechnik in der
Landwirtschaft zum "Farmageddon" führt. "Wir spielen
ökologisches Roulette mit den Entwürfen von Mutter Natur",
fasst der amerikanische Biotech-Kritiker Jeremy Rifkin die
Ungewissheit über die langfristigen ökologischen Folgen
zusammen.
Auswirkungen auf Menschen
Derzeit ebenfalls unabsehbar ist, ob das "Frankenfood" auch
dem menschlichen Konsumenten schaden kann.
Fütterungsexperimente mit gentechnisch veränderten
Kartoffeln haben solche Ängste vermehrt. Die Versuchstiere
reagierten auf die Kost mit einem geschwächten
Immunsystem. Auch muss mit Allergien gerechnet werden.
Theoretisch denkbar ist auch, dass Antibiotika-Resistenzen
von entsprechend veränderten Pflanzen auf Krankheitserreger
des Menschen übertragen werden. Die Industrie ist in Beweis-
und Erklärungsnot. Von der Offensive ist sie in die Defensive
geraten. "Wir finden es unklug, derzeit in Europa auf Anbau zu
drängen", beschreibt Arthur Einsele die Haltung von Novartis.
Und tapfer erklärt er, dass die Industrie die Zeit des faktischen
Moratoriums nutzen will - um Vertrauen aufzubauen.