Tages-Anzeiger 8.9.1998
Die Verpflanzung von Tierorganen in Menschen ist riskant.
Zudem behebt sie den Mangel an Spenderorganen kaum.
Von Rosmarie Waldner
Weltweit stehen 33 000 Kranke auf einer Warteliste für
eine
Organverpflanzung; in der Schweiz sind es rund 600. Es
stehen zu
wenig Spenderorgane zur Verfügung, und zumindest
in der Schweiz
hat die Organspendefreudigkeit abgenommen. Einen Ausweg
daraus,
so hoffen ehrgeizige Forscher und die interessierte Pharmaindustrie,
könnten speziell auf die Übertragung auf Menschen
zugeschnittene
Tierorgane bieten. Der Fachbegriff dafür heisst
Xenotransplantation.
Eine am Mittwoch in Basel vorgestellte Studie zur Abschätzung
der
Technikfolgen der Xenotransplantation kommt zum Schluss,
dass die
Einführung der Xenotransplantation im Gegenteil
den Mangel sogar
verschärfen könnte.
Moratorium vorgeschlagen
Die Studie wurde im Auftrag des Schweizerischen Wissenschaftsrates
von einem Team des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik
und
Innovationsforschung, Karlsruhe, durchgeführt. In
ersten
Stellungnahmen haben Fachleute die Studie als gründlich
und als guten
Ausgangspunkt für eine breite gesellschaftliche
Auseinandersetzung
um das Thema Xenotransplantation gewürdigt. Die
Studie streicht die
Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Diskurses heraus
und empfiehlt
sogar, in der Schweiz ein Moratorium selbst für
klinische Versuche zu
erwägen. Denn das Ergebnis dieses Diskurses müsse
offen sein und
dürfe nicht leiden unter Sachzwängen, die laufend
in den Labors
geschaffen würden.
Im Entwurf zur Revision des Bundesbeschlusses über
Blut,
Blutprodukte und Transplantate hat der Bundesrat im Juni
vorläufig
ein Verbot für die Xenotransplantation vorgesehen.
Experimente
wären nur mit einer Sondergenehmigung möglich.
Der Grund für die
grosse Vorsicht liegt nicht nur im ethischen Bereich.
Es steht
keineswegs fest, wie gross das Risiko einzuschätzen
ist, dass über
Organe tierischen Ursprungs neue Infektionskrankheiten
nicht nur den
Empfänger, sondern die Menschheit bedrohen können.
Mit der
Aidsepidemie - das Aidsvirus ist vom Affen auf den Menschen
übergesprungen - haben solche Bedenken eine reale
Grundlage
erhalten.
Tiere haben andern Stoffwechsel
Abgesehen vom Infektionsrisiko sind viele andere technische
Probleme einer Xenotransplantation noch längst nicht
gelöst. An
erster Stelle steht die Abstossung des fremden Organs.
Mit
gentechnischen Methoden ist es inzwischen gelungen, Schweine
sozusagen mit menschlichen Gewebeeigenschaften zu versehen.
Dadurch liess sich im Affenversuch kürzlich erstmals
die erste akute,
innert Minuten und Stunden eintretende Abstossungskrise
eindämmen.
Doch in späteren Stadien treten weitere noch unbekannte
Abstossungsprozesse auf, wie die Studie festhält.
Menschenaffen kommen aus ethischen Gründen nicht
als
Organspender für Menschen in Frage. Die Forscher
sind deshalb vor
allem auf das Schwein ausgewichen, weil es in Stoffwechsel
und
Organgrösse viele Ähnlichkeiten mit dem Menschen
hat - aber eben
nur Ähnlichkeiten und keine Übereinstimmung.
Auch von diesem
Aspekt her ist offen, ob Xenotransplantation je eine
Alternative zur
normalen Organverpflanzung werden kann. Neben den
Infektionsrisiken ist auch auf diesem Gebiet noch viel
Forschung nötig.
Die Studie hält fest, dass es frühestens in
zehn Jahren soweit sein
könnte, dass der erste xenotransplantierte Mensch
mehr als ein Jahr
überleben werde.
Neben den eher technischen sind nach der Studie vor allem
die
ethischen Fragen keineswegs beantwortet. Wenn die
Xenotransplantation nicht ebensogut funktionieren sollte
wie die
normale Organverpflanzung, stelle sich etwa das Problem:
Wer
bekommt die guten menschlichen, wer die schlechteren
tierischen
Organe? Und wie steht es mit dem Identitätsverständnis,
wie mit dem
Menschenbild, das mit solchen tierischen Ersatzteillagern
verknüpft
ist? Und in Sachen Infektionsrisiko: Dürfen einzelne
Kranke (und die
Industrie) profitieren, wenn gleichzeitig die ganze Bevölkerung
latent
bedroht ist? Schliesslich besteht über die eventuellen
Kosten für den
einzelnen, das Gesundheitssystem und den Staat insgesamt
nicht die
geringste Klarheit.
Auch Tiere haben Würde
Ganz klar ist mit der Xenotransplantation auch die Tierethik
betroffen,
im besonderen die Auffassung von der Würde der Kreatur,
die in der
Bundesverfassung verankert ist. Überdies geht es
um den Tierschutz.
Solche Spendertiere müssen nämlich keimfrei
und unter alles andere
als artgerechten Bedingungen aufwachsen.
Schliesslich könnte sogar das Ziel, den Organmangel
zu beheben, in
sein Gegenteil verkehrt werden: Wenn Tierorgane nur zur
Überbrückung eingesetzt werden, bis ein passendes
Menschenorgan
zur Verfügung steht, werden die Wartelisten noch
ansteigen. Könnte
man Tierorgane wirklich verpflanzen, stiege auch die
Nachfrage, und
ein weiterer Mangel wäre bei diesem teuren High-Tech-Verfahren
vorprogrammiert.
"Die Xenotransplantation ist sicher kein Königsweg",
sagte an der
Präsentation die Leiterin der Studie, Bärbel
Hüsing. Deshalb verweist
die Studie auch auf die Entwicklung künstlicher
Organe. Dort ist die
Forschung etwa gleich weit wie bei der Xenotransplantation.
In erster
Linie gelte es die Bereitschaft zur Organspende zu stimulieren
durch
neue gesetzliche Regelungen. Der Entwurf eines
Transplantationsgesetzes ist dazu bereits auf dem Weg
im Parlament.