«Gentechnik ist etwas, das von privaten Investoren vorangetrieben wird. Das ist auch ihr gutes Recht, solange sie nicht die Rechte anderer beeinträchtigen.»
«Man muss sich alle Wege offen halten»
Der Präsident der Ethikkommission EKAH äussert sich kritisch
zur Gentechnologie in Entwicklungsländern und zum Einfluss seines
Gremiums
Ob die Gentechnik hilft, den Hunger in Entwicklungs- ländern zu
bekämpfen, sei unklar, sagt Klaus Peter Rippe. Die Schweizer Politik
könne die einseitige Ausrichtung der Agrarforschung auf die Gentechnologie
korrigieren.
Interview: Matthias Knecht
«Bund»: 65 Millionen Hektar weltweit werden bereits mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bebaut – Soja, Baumwolle, Raps und Mais. Nun sagen Sie, die Folgen seien gar nicht abschätzbar.
klaus peter rippe: Diese Fläche ist zwar riesig, konzentriert sich
aber auf 18 Länder, darunter vor allem die USA, Kanada, Argentinien,
Brasilien und China. Nur ein Drittel des weltweiten GVO-Anbaus findet in
den Ländern des Südens statt.
Und Ihnen geht es um die Gentechnik-Landwirtschaft in den Entwicklungsländern?
Das ist der Punkt. Entscheidend ist, dass die meisten von ihnen bisher
wenig oder gar keine GVO haben. Ich denke da etwa an Afrika. Die Frage
stellt sich: Wie verhält sich die Schweiz im Bezug auf solche Länder?
Sollen wir uns daran beteiligen, die GVO-Technik dort einzuführen?
Die Entscheidungen über GVO finden in den Entwicklungsländern also jetzt erst statt?
Sagen wir es so: Die Meinungsbildung beginnt jetzt. Das haben
etwa Sambia und Simbabwe letztes Jahr verdeutlicht, als sie Nahrungsmittelhilfe
mit GV-Mais abgelehnt hatten. Diese Länder müssen sich entscheiden,
für welchen Teil des Weltmarktes sie produzieren wollen. Es gibt einen
Weltmarkt für GVO-Produkte und einen für GVO-freie Produkte.
Und die Entwicklungsländer haben nur die Wahl: Entweder GVO oder gentechfrei?
Für viele heisst es ja oder nein.
Die Befürworter sagen: Mit Gentechnik lässt sich der Hunger bekämpfen.
Die EKAH, die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie
im Ausserhumanbereich, ist überwiegend der Meinung, dass man diesen
Schluss nicht ziehen kann. Mit dem heutigen Wissensstand kann man diese
zentrale Frage nach der Nahrungssicherheit nicht beantworten.
Dennoch warnen Sie davor, einseitig in die Genforschung zu investieren. Spiegelt sich darin die pessimistische Grundhaltung der Ethikkommission zu GVO wieder?
Nein! Wir sagen nur: Forscht nicht einseitig! Denn wenn man einseitig
in eine Technologie investiert, von der man zu wenig weiss, dann ist das
falscher Optimismus. Man muss sich alle Wege offen halten.
Der Vorwurf dahinter ist: Es droht die traditionelle Agrarforschung vernachlässigt zu werden?
Man sollte der traditionellen Agrarforschung mehr Gelder geben als man
es heute tut.
Hierzu wäre es ja interessant gewesen, etwas über den Zusammenhang zwischen der heute üblichen Drittmittelfinanzierung an den Hochschulen und den Forschungsschwerpunkten zu lesen. In Ihrem Bericht findet sich nichts davon. Haben Sie Rücksicht auf Syngenta nehmen müssen?
Erstens sprechen Sie die öffentliche Forschung an. Die Agrarforschung
findet aber viel in privaten Unternehmen statt. Und zweitens brauchen wir
keine Rücksicht auf irgend jemanden zu nehmen.
Welchen Einfluss haben Ihre Empfehlungen? Werden sie Bundesrat und Parlament berücksichtigen?
Die Gentechnik ist eine öffentliche Frage und nicht nur Sache des
Bundesrates. Wir wollen die öffentliche Diskussion fördern.
Zur aktuellen Gentechfrei-Initiative etwa hat sich ihre Kommission, die EKAH, noch keine Meinung gebildet. Der Bundesrat aber hat längst Nein empfohlen.
Zur Frage des Moratoriums hatten wir uns schon früher geäussert,
unabhängig von der heutigen Initiative. Die Diskussion hat also
bereits stattgefunden, mit dem früheren Bundesrat. Zur jetzigen Initiative
haben wir kein spezielles Votum abgegeben.
Dennoch: Welche Relevanz haben Ihre Empfehlungen? Läuft nicht eine Entwicklung, die von Monsanto und Syngenta mehr gesteuert wird als von der Politik oder der Öffentlichkeit?
Gentechnik ist etwas, das von privaten Investoren vorangetrieben wird.
Das ist auch ihr gutes Recht, solange sie nicht die Rechte anderer beeinträchtigen.
Relevant ist aber auch die Rolle der öffentlichen Hand. Sie kann der
erwähnten Einseitigkeit korrigierend entgegenwirken.
Eine politische Forderung wäre etwa: Die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (Deza) soll in den Ländern des Südens vermehrt traditionelle Anbau- und Zuchtmethoden fördern.
Mit der Deza ist unsere Ethikkommission in engem Austausch. Ein zentraler
Punkt ist dabei unsere Forderung nach dem Capacity Building…
… Capacity Building?
Das heisst: Die Länder des Südens sollen selbst die Fähigkeit
entwickeln, Forschung zu treiben, auch Sicherheitsforschung, um etwa auch
mehr über die Folgen des GVO-Anbaus unter ihren lokalen Bedingungen
zu erfahren.
Ihre Kommission, ein Gremium aus zwölf Forschern, fordert mehr Forschung. Das sieht nach Partikularinteressen aus.
Wir fordern in diesem Kontext nicht mehr Forschung für uns in der Schweiz. Wir fordern vielmehr, dass auch in den Ländern des Südens geforscht werden kann. Das hat nichts mit eigenen Partikularinteressen zu tun.
klaus peter rippe
Klaus Peter Rippe ist Privatdozent für praktische Philosophie an der Universität Zürich und Präsident der vom Bundesrat ernannten Eidgenössischen Ethikkommission für die Gentechnologie im ausserhumanitären Bereich (EKAH). Diesem 1998 ins Leben gerufenem Gremium gehören neben Rippe elf weitere Wissenschaftler aus den Bereichen Biologie, Philosophie und Theologie an. (mk)
Kritik an einseitiger Gentechforschung
«Der Vorstellung, die Gentechnik könne die Nahrungssicherung dereinst fundamental verbessern, liegt eine Vereinfachung der Sachlage zu Grunde», schreibt die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) in einer Mitteilung vom Donnerstag. «Die Auswirkungen sind heute kaum abschätzbar», lautet der Schluss, welcher laut EKAH kaum überraschend ist.
Die Ethikkommission fordert daher, dass die öffentliche Forschung
verstärkt und besser koordiniert werde. Dies gelte insbesondere für
die Risikoforschung. Bemängelt wird insbesondere, dass es in den Ländern
des Südens kaum Auswirkungen über den Einsatz gentechnisch veränderter
Organismen (GVO) gebe.
Die kommerzielle Nutzung der Gentechnik beschränkt sich in der
Landwirtschaft heute auf vier Produkte: Soja (51 Prozent des Weltmarktes
sind GV-Soja), Baumwolle (20%), Raps (12%) und Mais (9%). Der grösste
Teil des GV-Mais und der GV-Soja wird in den Industrieländern an Tiere
verfüttert. Die direkte menschliche Ernährung mit gentechnisch
veränderten Nutzpflanzen spielt weltweit noch eine geringe Rolle.
Kritik an Einseitigkeit
«Forschungsgelder einseitig zu Gunsten der Gentechnologie einzusetzen
ist nicht akzeptabel», schreibt die EKAH weiter. Dies umso mehr,
als andere Ansätze bisher teils effizientere und bessere Resultate
erbracht hätten.
Die EKAH weist auch darauf hin, dass alle Menschen das Recht hätten,
über die Art und Weise ihrer Ernährung selber zu bestimmen.
Broschüre veröffentlicht
Im Rahmen einer öffentlichen Diskussion stellte die EKAH ihre Ergebnisse gestern in Bern vor. In einer Broschüre beleuchtet die EKAH «die zentralen Fragen des Themas und will einen Beitrag zur Ausrichtung der schweizerischen Politik leisten», wie es im Communiqué heisst. (sda/mk)