Gentech-Hersteller haften eine Generation lang

                   Bundesrat verabschiedet Gen-Lex

                   Vor einer Woche hatte Umweltminister Leuenberger nachgeben und auf ein
                   Verbot von Gentech-Freisetzungen verzichten müssen; gestern hat er nun
                   die Gen-Lex im Bundesrat ohne weitere Abstriche durchgebracht. Die
                   Haftpflicht bei Folgeschäden soll demnach auf 30 Jahre verlängert und auf
                   die Hersteller konzentriert werden.

                   wab. Bern, 19. Januar

                   Die gesetzliche Regelung der Gentechnologie ist eine umstrittene und komplizierte
                   Materie. Dies zeigte sich auch an der Pressekonferenz nach der
                   Bundesratssitzung, an welcher der federführende Umweltminister Moritz
                   Leuenberger nicht immer sattelfest, dafür aber mit um so mehr Ironie Rede und
                   Antwort stand. Die Gen-Lex, die der Bundesrat nun ans Parlament weiterreicht,
                   umfasst zudem erst einen Teil der nötigen Gesetzesänderungen. Noch im ersten
                   Halbjahr 2000 soll eine Revision des Patentgesetzes in die Vernehmlassung gehen,
                   in der die Frage zu beantworten sein wird, ob und unter welchen Bedingungen
                   gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere patentiert werden dürfen.

                   Bauern haften nicht

                   Gestern hatte der Bundesrat vor allem über die Haftpflicht in der Gen-Lex zu
                   entscheiden. Moritz Leuenberger überzeugte dabei die Mehrheit im Bundesrat,
                   dass eine Verlängerung der Verjährungsfrist von 10 auf 30 Jahre angemessen sei.
                   Diese Verdreifachung war bereits 1998, vor der Volksabstimmung über die
                   Genschutz-Initiative, in die Vernehmlassung gegeben worden. Die Regelung sieht
                   nun so aus: Wer einen Schaden infolge gentechnisch veränderter Organismen -
                   beispielsweise eine Allergie gegen gentechnisch veränderten Mais oder eine
                   «Verschmutzung» von biologisch angebauten Feldern durch Pollenflug aus einem
                   benachbarten Feld - geltend macht, muss innert dreier Jahre ab Feststellung des
                   Schadens die Herstellerin der gentechnisch veränderten Pflanzen einklagen. Er
                   kann dies bis zu 30 Jahre nach Verursachung des Schadens tun, wenn der
                   Schaden erst dann festgestellt wird. Moritz Leuenberger begründete diese Frist
                   damit, dass sie praktisch eine Generation abdecke. Hersteller könnten so auch
                   dann noch belangt werden, wenn nicht die Mutter, die ein gentechnisch
                   verändertes Produkt konsumierte, sondern erst das Kind geschädigt wurde. Die
                   Haftpflichtansprüche müssen grundsätzlich bei der Herstellerfirma angemeldet
                   werden und nicht beim Bauern, der zum Beispiel Genmais anbaut. Die Hersteller
                   können allerdings auf Bauern, Verarbeiter oder andere Personen zurückgreifen,
                   wenn diese die Organismen unsachgemäss behandelt oder zur Verschlimmerung
                   des Schadens beigetragen haben. Einen Schaden beweisen muss dabei stets der
                   Kläger; eine Beweislastumkehr wie in den USA kennt das Schweizer
                   Produktehaftpflichtrecht nicht.

                   Haftpflicht generell verlängern

                   Mit der Gen-Lex soll auch die Verjährungsfrist für andere, nicht gentechnisch
                   verursachte Umweltschädigungen verlängert werden. Anstelle von 30 soll die Frist
                   dabei aber 20 Jahre betragen. Der Bundesrat will die Verjährungsfrist im
                   Haftpflichtrecht generell von 10 auf 20 Jahre verlängern, wie Leuenberger auf
                   Nachfrage hin verriet. Die entsprechende Revision des Haftpflichtgesetzes soll wie
                   das Patentrecht noch in der ersten Jahreshälfte in die Vernehmlassung gehen.

                   Vor einer Woche hatte der Bundesrat entschieden, dass die Freisetzung
                   gentechnisch veränderter Pflanzen für Versuche oder für den kommerziellen Anbau
                   weder verboten noch einem 10jährigen Moratorium unterworfen, sondern einer
                   Bewilligungspflicht unterstellt wird (NZZ 13. 1. 00). Von diesem Vorentscheid hat
                   er sich gestern auch durch Drohungen der Umweltverbände mit einer neuen
                   Volksinitiative nicht mehr abbringen lassen. Die Kriterien für das
                   Bewilligungsverfahren sollen nicht ins Gesetz, sondern in eine Verordnung
                   geschrieben werden. Diese kann leichter den Entwicklungen in der Gentechnologie
                   und den Regelungen im Ausland, insbesondere in der EU, angepasst werden. Im
                   Gesetz werden lediglich die Ziele festgehalten, denen gentechnische Versuche und
                   Anwendungen aus umweltschützerischer Sicht genügen müssen: Sie dürfen die
                   Sicherheit von Mensch und Umwelt nicht gefährden, die biologische Artenvielfalt
                   und die nachhaltige Nutzung nicht gefährden und die Würde der Kreatur nicht
                   missachten. Im geltenden Umweltschutzgesetz aus dem Jahr 1995 wird bloss die
                   Sicherheit von Mensch und Umwelt postuliert. Um die neuen Ziele zu
                   konkretisieren, wird die 1998 geschaffene Ethikkommission beigezogen und nun
                   auch formell als Beratungsorgan des Bundes im Gesetz verankert.

                   Die Würde der Kreatur zu wahren hiesse beispielsweise, dass Tiere nicht ihrer
                   Grundfunktionen (Wachstum, Fortpflanzung, Bewegung, soziale Fähigkeiten)
                   beraubt werden dürften, erklärte Leuenberger. Ob dies bei einem Lachs, der
                   Flussschwellen nicht mehr überwinden könnte und 30 Kilogramm schwer würde,
                   noch gewährleistet wäre, sei fraglich. Umgekehrt hat der Bundesrat aber darauf
                   verzichtet, von den Gesuchstellern einen eigentlichen Nutzennachweis zu
                   verlangen. Nutzen und Risiken sollen insgesamt abgewogen werden. Die
                   Freisetzung kann zudem verweigert werden, wenn ein öffentliches Interesse
                   entgegensteht. Dies wäre nach Leuenbergers Auslegung bei einer reinen Spielerei
                   der Fall. Eine Bewilligung kann schliesslich mit Auflagen versehen werden, etwa für
                   die ständige Überwachung eines Versuchs (das sogenannte Monitoring).

                   Erste Bewilligungsinstanz ist das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft
                   (Buwal). Seine Entscheide können an eine Rekurskommission und danach ans
                   Bundesgericht weitergezogen werden. Das Buwal hatte letztes Jahr die beiden
                   ersten Gesuche abgelehnt, und daran hätte laut Bundesrat Leuenberger auch das
                   neue Recht nichts geändert. Gegen die Verweigerung der Bewilligung für einen
                   Versuch mit gentechnisch veränderten Kartoffeln in Changins läuft ein
                   Rekursverfahren. Ein neues Gesuch der ETH Zürich für einen Feldversuch mit
                   gentechnisch verändertem Weizen ist noch beim Buwal hängig. Das Bundesamt
                   hat eine Ergänzung der Dokumentation und eine französische Übersetzung
                   verlangt, da der Versuch in Lausanne durchgeführt werden soll und das Gesuch
                   dort aufgelegt werden müsste. Das Buwal will offensichtlich eine strenge
                   Bewilligungspraxis einführen und so die Gentechnik- Kritiker beschwichtigen. Man
                   dürfe nicht schon am Anfang die Latte zu tief legen, bestätigte Sektionschef Hans
                   Hosbach auf Anfrage der NZZ.

                   Kritik von Linken und Grünen

                   (sda) Gen-Lex wird von der Biotech-Industrie und den bürgerlichen Parteien im
                   Grundsatz begrüsst. Unterschiedlich ausgerichtete Kritik äusserten die
                   Versicherungen sowie Umweltschutzverbände und linke Parteien. Für Novartis ist
                   der Entscheid zugunsten einer Bewilligungspflicht ein Schritt in die richtige Richtung.
                   Das Unternehmen sei auch einverstanden mit der verlängerten Haftpflicht als
                   vertrauensbildender Massnahme. Die Haftpflichtregelung wird ebenso vom
                   Schweizerischen Bauernverband (SBV) begrüsst. Anders sehen dies die
                   Versicherungen und der Vorort. Sie kritisieren die auf den Hersteller beschränkte
                   Haftung sowie die Haftungsdauer. Die Verschärfung der Haftpflicht nimmt auch die
                   FDP skeptisch auf. Die CVP begrüsst sowohl die Bewilligungspflicht als auch die
                   Haftpflichtregelung. Die SVP ist mit der Stossrichtung der Gen-Lex grundsätzlich
                   einverstanden, bemängelt aber zu grosse Zugeständnisse an die Gentech-Gegner.
                   Linke und Grüne kritisieren die Bewilligungspflicht und begrüssen die verschärfte
                   Haftpflicht. Der SP erscheint die vorgeschlagene Bewilligungspflicht als nicht
                   ausreichend. Auch die Grünen sowie Umweltschutz- und Konsumentenverbände
                   üben Kritik. Mit der Freisetzung von GVO würden unkalkulierbare Risiken in Kauf
                   genommen, schrieb die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG). Die
                   SAG zieht in Betracht, mit einer Volksinitiative für ein Moratorium zu kämpfen.

                   Neue Zürcher Zeitung, 20. Januar 2000