«30 Jahre sind durchaus versicherbar»

                    GENLEX / Irgendetwas kann nicht
                    stimmen: Die Pharmaindustrie ortet in
                    der Gentechnologie nur geringe Risiken
                    - doch gleichzeitig erklären
                    Versicherungsvertreter,
                    Haftungsansprüche seien bei
                    Verjährungsfristen von 30 Jahren nicht
                    finanzierbar. Die Genlex des
                    Bundesrates liegt nun vor, und der
                    Versicherungsverband stellt klar: «30
                    Jahre sind durchaus versicherbar.»

                    • HANSUELI SCHÖCHLI

                    Wenn die Wirtschaft der Wirtschaft
                    nicht mehr traut, dann schaut man
                    besser genauer hin. Aktuelles Beispiel
                    ist die Debatte um die Genlex, welche
                    aus den Unternehmensverbänden
                    erstaunlich widersprüchliche Aussagen
                    zutage gefördert hat: Zum einen erklärt
                    die Pharmaindustrie, dass die
                    Gentechnologie nur mit wenig Risiken
                    verbunden ist - und zum anderen
                    deklarieren Versicherungsexperten, dass
                    langfristige Haftungsansprüche wegen
                    der Unvorhersehbarkeit der Risiken
                    kaum versicherbar sind.

                      Etwas kann da nicht stimmen. Der
                    Bundesrat hat diese Woche seine
                    Genlex vorgelegt («Bund» von gestern)
                    und darin entschieden, was seiner
                    Meinung nach nicht stimmen kann: Die
                    Verjährungsfrist für Schäden im
                    Zusammenhang mit gentechnisch
                    veränderten Organismen wird wegen
                    möglicherweise erst langfristig
                    sichtbarer Schäden von 10 auf 30 Jahre
                    erhöht - und damit ist bewusst oder
                    unbewusst auch eine Versicherbarkeit
                    unterstellt.

                    Sie können es doch
                      So ganz falsch scheint der Bun-
                    desrat damit nicht zu liegen, wie eine
                    Rückfrage in der Branche deutlich
                    macht. «30 Jahre sind grundsätzlich
                    durchaus versicherbar», sagt
                    «Zürich»-Experte Volker Fuhlrott,
                    Präsident der Fachgruppe Haftpflicht im
                    Schweizerischen Versicherungsverband:
                    Bezüglich technischer und
                    wissenschaftlicher Risiken entspreche
                    die Einschätzung der Versicherer etwa
                    jener der Pharmaindustrie. Fragezeichen
                    ortet Fuhlrott allerdings bezüglich
                    «politischer und juristischer Risiken».
                    Seine Botschaft: Je länger die
                    Verjährungsfrist, desto mehr könnte
                    sich die Haftungsinterpretation ändern -
                    was Unsicherheit schafft und die
                    Prämien tendenziell erhöht. Aus
                    heutiger Sicht, so ergänzt Thomas
                    Pletscher vom
                    Wirtschaftsspitzenverband Vorort,
                    möge es zum Beispiel klar sein, dass die
                    Haftung einen belegten
                    Kausalzusammenhang zwischen dem
                    Produkt und dem Schaden bedinge -
                    doch je nach politischer und juristischer
                    Entwicklung genüge später vielleicht
                    einmal schon die «Plausibilität» eines
                    Zusammenhangs.

                    Marktverträglich
                      Der Einwand selbst wirkt nicht
                    unplausibel. Er misst sich aber mit dem
                    ökonomischen Befund, dass
                    Technologien mit potenziell vielen erst
                    langfristig sichtbaren Schäden auch
                    langfristige Haftungsfristen bedingen -
                    damit die Kosten via höhere
                    Versicherungsprämien und höhere
                    Produktepreise letztlich auf die
                    Verursacher überwälzt werden können.
                    Lange Haftungsfristen sind aus dieser
                    Optik nichts anderes als eine
                    Internalisierung externer Kosten - und
                    damit ein marktverträgliches
                    Instrument, das auch der Wirtschaft
                    nahe liegen müsste.
                    Vorort-Vertreter Pletscher will da nicht
                    grundsätzlich widersprechen: «Das
                    Haftpflichtrecht ist durchaus ein
                    entscheidendes Mittel zur
                    Verhaltenssteuerung. Es ist ein
                    marktverträgliches Mittel und deshalb
                    gegenüber Polizeimassnahmen
                    vorzuziehen.» Bedingung aber müsse
                    sein, dass Fehlverhalten und Haftpflicht
                    die gleichen Personen bzw. Firmen
                    betreffe. «Der Teufel liegt im Detail»,
                    mahnt der Vorort-Mann. An einigen
                    dieser Details müsse in der Genlex
                    schon noch gefeilt werden, sagt
                    Versicherungsexperte Fuhlrott. Ein Dorn
                    im Auge ist den Versicherern vor allem
                    die Ausgestaltung der Haftpflicht des
                    Herstellers: «Der Hersteller haftet nicht
                    nur für fehlerhafte, sondern auch für
                    fehlerfreie Produkte. Die Folge besteht
                    in einer Haftung des Herstellers für
                    Vorgänge, auf die er keinen Einfluss
                    hat.» Zwar kann der Hersteller bei
                    unsachgemässer Anwendung Rückgriff
                    auf den Anwender nehmen, doch laut
                    Fuhlrott ist «der Regress nach 10 bis 30
                    Jahren in der Praxis nicht
                    durchführbar». Wie solle man zum
                    Beispiel nach so vielen Jahren
                    herausfinden, so fragt er, welcher
                    Bauer ein bestimmtes Pollenfliegen
                    verursacht habe.

                    Verjährung des Rückgriffs
                      Zu Unklarheiten führt auch die
                    Verjährungsfrist des Rückgriffs. Das
                    Rückgriffsrecht verjähre nach den
                    gleichen Fristen wie die
                    Ersatzansprüche, heisst es im
                    Gesetzesvorschlag. Bedeutet dies nun,
                    dass bei fehlerhafter Anwendung die
                    Verjährungsfrist zum Beispiel für Bauern
                    und Ärzte auch von 10 auf 30 Jahren
                    verlängert wird? «Nein», sagt Thomas
                    Jäggi vom Bundesamt für Justiz. Dies
                    gelte nur, wenn (zum Beispiel) mehrere
                    Betriebe gleichzeitig problematische
                    Stoffe in die Umwelt gebracht hätten:
                    Gegenseitige Rückgriffe seien da
                    während 30 Jahren möglich. Bei
                    fehlerhafter Anwendung durch den
                    Bauern oder Arzt bleibt es bei 10 Jahren
                    - ein unlogisches Konstrukt zwar, wie
                    Jäggi einräumt - aber ein Konstrukt, das
                    in Kauf genommen werden musste.
                    Zu reden dürfte auch die Definition des
                    «Herstellers» geben. Damit ist nämlich
                    nicht nur die Chemie- und
                    Pharmaindustrie gemeint - sondern für
                    ausländische Produkte gilt der
                    schweizerische Importeur als Hersteller,
                    weil dieser die Produkte hierzulande in
                    Umlauf bringt. Die vorliegende
                    Haftungsregelung dürfte somit, so
                    mutmasst Jäggi, die Einfuhren von
                    gentechnisch veränderten Organismen
                    erheblich beeinträchtigen.