GENTECHNOLOGIE
                    Der Bundesrat
                    hat gestern Gesetzesanpassungen
                    vorgestellt, mit denen er die Risiken der
                    Gentechnologie minimieren will - ohne
                    dabei auf die Chancen der neuen
                    Technologie verzichten zu müssen. Er
                    begeht diesen Balanceakt mit einer auf
                    30 Jahre ausgedehnten Haftpflicht und
                    einer Bewilligungspflicht.

                    • INGRID HESS

                    Bereits letzte Woche hatte Bundesrat
                    Moritz Leuenberger angekündigt, dass
                    die Landesregierung kein Verbot und
                    auch kein Moratorium für die
                    Freisetzung von gentechnisch
                    veränderten Organismen zu
                    kommerziellen Zwecken beschliessen
                    werde. Diese Ankündigung wurde
                    gestern erwartungsgemäss bestätigt
                    und gegen sie richtete sich gestern in
                    erster Linie die Kritik (vgl. Seite 1).

                      Damit hat sich der Bundesrat für den
                    Status quo entschieden: die
                    Bewilligungspflicht für
                    Freisetzungsversuche und den Verkauf
                    oder Import von gentechnisch
                    veränderten Organismen. Dennoch
                    enthalten die vom Bundesrat
                    verabschiedeten Gesetzesänderungen
                    einige Neuerungen. Neu und strenger
                    geregelt ist vor allem die
                    Haftungsfrage; die Schutzziele, welche
                    bei der Bewilligung von Freisetzungen
                    zu berücksichtigen sind, betreffen
                    zudem nicht mehr nur den Menschen,
                    sondern auch die Artenvielfalt und die
                    Würde der Kreatur.
                    Wie im konkreten Fall allerdings zu
                    entscheiden ist, konnte auch Bundesrat
                    Moritz Leuenberger gestern nicht
                    abschliessend beantworten. Die
                    Kriterien, wann ein Freisetzungsgesuch,
                    sei es nun mit Tieren oder mit Pflanzen,
                    im konkreten Fall abgelehnt und wann
                    ihm stattgegeben werden soll, müssen
                    noch in einer Verordnung festgelegt
                    werden. Leuenberger versicherte
                    jedoch, dass die im letzten Jahr vom
                    Bundesamt für Umwelt, Wald und
                    Landschaft (Buwal) abgewiesenen zwei
                    Bewilligungsgesuche auch nach dem
                    neuen Recht abgelehnt würden.

                    Schwierige ethische Fragen
                      Unklar ist nach wie vor, wie der
                    Schutz der «Würde der Kreatur»
                    auszulegen ist. Gemäss Botschaft wird
                    diese verletzt, wenn das Tier in seinen
                    artspezifischen Eigenschaften - wie
                    Fortpflanzung oder Bewegung -
                    beeinträchtigt wird. Wenn
                    beispielsweise ein Lachs gezüchtet
                    würde, welcher Gene enthält, die ihn
                    davon abhielten, weiterhin über
                    Schwellen zu springen, dann werfe das
                    schwierige ethische Fragen auf, sagte
                    Leuenberger. Im konkreten Fall werden
                    solche Fragen von der im April 1998
                    eingesetzten Ethikkommission
                    beantwortet werden müssen. Diese wird
                    neu als beratendes Gremium in die
                    bisherigen Kontrollverfahren
                    einbezogen.
                    Gemäss Auskunft von Buwal-Direktor
                    Philippe Roch ist derzeit noch kein
                    Gesuch für Versuche mit GVO-Tieren
                    eingereicht worden. Als
                    wahrscheinlichsten Tierversuch
                    bezeichnete Roch jenen mit
                    insulinproduzierenden Schweinen. Was
                    die Freisetzungsversuche mit
                    gentechnisch veränderten Pflanzen
                    betrifft, so sei ein Gesuch der
                    ETH-Zürich in Vorbereitung.

                    30 Jahre Haftung
                      Kernpunkt der Neuerungen im
                    Umweltschutzgesetz ist die
                    Verlängerung der Haftungsdauer von
                    derzeit 10 auf 30 Jahre nach der
                    Freisetzung. Die Versicherer waren
                    gegen derart «unkalkulierbare Risiken»
                    schon im Vorfeld auf die Barrikaden
                    gegangen. Tatsächlich geht der
                    Bundesrat weit über die in Europa
                    bestehenden Regelungen hinaus. Die
                    EU, so vermutet man jedenfalls im
                    Buwal, wird sich bei der laufenden
                    Überarbeitung der
                    Freisetzungsverordnung kaum auf eine
                    mehr als zehnjährige Haftungsdauer
                    einigen. Das Gesetz verschärft die
                    Haftung aber noch in einem weiteren
                    Punkt. So soll im Schadensfalle
                    ausschliesslich der GVO-Hersteller
                    haften, auch wenn der Landwirt den
                    GVO-Raps ausgebracht hat. «Das gibt
                    es meines Wissens weltweit nicht»,
                    sagte Anita Raaflaub vom
                    Versicherungsverband gestern
                    gegenüber der Nachrichtenagentur SDA
                    dazu (vgl. auch Kasten). Der Nachweis,
                    dass der allfällige Schaden tatsächlich
                    durch das vom Hersteller in Verkehr
                    gebrachte Saatgut verursacht wurde,
                    obliegt hingegen dem Kläger bzw. der
                    Klägerin. Damit besteht grundsätzlich
                    dieselbe Situation, wie bei Regressen
                    von Lungenkrebskranken auf die
                    Tabakindustrie.
                    Diese Änderungen des
                    Umweltschutzgesetzes von 1995 hat
                    der Bundesrat gestern zuhanden des
                    Parlaments verabschiedet. Die politisch
                    ebenso heiklen
                    Ausführungsverordnungen sollen noch
                    vor der parlamentarischen Beratung an
                    die Hand genommen werden, wie Roch
                    ankündigt. Damit könnten die
                    Bestimmungen innert einem bis
                    anderthalb Jahren unter Dach und Fach
                    sein.
 

                    Kasten: Haften mit 20 Millionen
                    psp. 30 Jahre lang sollen Hersteller von
                    gentechnisch veränderten Organismen
                    (GVO) für jegliche Schäden haften, die
                    ihr Produkt verursacht. Das sieht die
                    Genlex gemäss Bundesrat vor. Die
                    Dauer komme nicht von ungefähr,
                    erklärte Umweltminister Moritz
                    Leuenberger, sondern sie entspreche
                    «einer Generation»: Dem Zeitraum, in
                    welchem die allfällige Schädigung von
                    Nachkommen feststellbar wird.
 

                    Harmloser als Atomkraft?
                      Weniger klar ist die Frage, weshalb ein
                    Hersteller von GVO für die Freisetzung
                    eine Schadenersatzgarantiesumme von
                    lediglich 20 Millionen Franken
                    nachweisen muss: Das ist der Betrag,
                    für den er mindestens geradestehen
                    kann, wenn etwas passiert. Bezogen
                    auf das Unfallausmass wird die
                    Gentechnologie indes nicht nur von
                    Kritikern mit der Kernkraft verglichen,
                    die beispielsweise mit einem Ereignis
                    gigantische Schäden anrichten kann.
                    Die Schweizer Atomkraftwerke haften
                    beschränkt mit jeweils 500 Millionen.
                    Dagegen nehmen sich die 20 Millionen
                    für GVO-Risiken sehr bescheiden aus.
                    Zwar ist die Haftung des Herstellers
                    nach oben nicht begrenzt. Das ist aber
                    Theorie: Verfügt das haftbare
                    Unternehmen nach einem Schadenfall
                    über keine Mittel mehr und geht
                    konkurs, dann begrenzt sich die
                    Haftung von selbst. Die Festlegung des
                    Betrags beruhe auf Schätzungen von
                    Versicherungen und Unternehmen der
                    Biotech-Industrie, erklärte Christoph
                    Zäch, Leiter der Abteilung Recht im
                    Buwal. Er müsse aber bei der
                    Anpassung der Verordnung wohl noch
                    überarbeitet werden, sagte Zäch am
                    Mittwoch.