• INGRID HESS
Bereits letzte Woche hatte Bundesrat
Moritz Leuenberger angekündigt, dass
die Landesregierung kein Verbot und
auch kein Moratorium für die
Freisetzung von gentechnisch
veränderten Organismen zu
kommerziellen Zwecken beschliessen
werde. Diese Ankündigung wurde
gestern erwartungsgemäss bestätigt
und gegen sie richtete sich gestern in
erster Linie die Kritik (vgl. Seite 1).
Damit hat sich der Bundesrat für den
Status quo entschieden: die
Bewilligungspflicht für
Freisetzungsversuche und den Verkauf
oder Import von gentechnisch
veränderten Organismen. Dennoch
enthalten die vom Bundesrat
verabschiedeten Gesetzesänderungen
einige Neuerungen. Neu und strenger
geregelt ist vor allem die
Haftungsfrage; die Schutzziele, welche
bei der Bewilligung von Freisetzungen
zu berücksichtigen sind, betreffen
zudem nicht mehr nur den Menschen,
sondern auch die Artenvielfalt und die
Würde der Kreatur.
Wie im konkreten Fall allerdings zu
entscheiden ist, konnte auch Bundesrat
Moritz Leuenberger gestern nicht
abschliessend beantworten. Die
Kriterien, wann ein Freisetzungsgesuch,
sei es nun mit Tieren oder mit Pflanzen,
im konkreten Fall abgelehnt und wann
ihm stattgegeben werden soll, müssen
noch in einer Verordnung festgelegt
werden. Leuenberger versicherte
jedoch, dass die im letzten Jahr vom
Bundesamt für Umwelt, Wald und
Landschaft (Buwal) abgewiesenen zwei
Bewilligungsgesuche auch nach dem
neuen Recht abgelehnt würden.
Schwierige ethische Fragen
Unklar ist nach wie vor, wie der
Schutz der «Würde der Kreatur»
auszulegen ist. Gemäss Botschaft wird
diese verletzt, wenn das Tier in seinen
artspezifischen Eigenschaften - wie
Fortpflanzung oder Bewegung -
beeinträchtigt wird. Wenn
beispielsweise ein Lachs gezüchtet
würde, welcher Gene enthält, die ihn
davon abhielten, weiterhin über
Schwellen zu springen, dann werfe das
schwierige ethische Fragen auf, sagte
Leuenberger. Im konkreten Fall werden
solche Fragen von der im April 1998
eingesetzten Ethikkommission
beantwortet werden müssen. Diese wird
neu als beratendes Gremium in die
bisherigen Kontrollverfahren
einbezogen.
Gemäss Auskunft von Buwal-Direktor
Philippe Roch ist derzeit noch kein
Gesuch für Versuche mit GVO-Tieren
eingereicht worden. Als
wahrscheinlichsten Tierversuch
bezeichnete Roch jenen mit
insulinproduzierenden Schweinen. Was
die Freisetzungsversuche mit
gentechnisch veränderten Pflanzen
betrifft, so sei ein Gesuch der
ETH-Zürich in Vorbereitung.
30 Jahre Haftung
Kernpunkt der Neuerungen im
Umweltschutzgesetz ist die
Verlängerung der Haftungsdauer von
derzeit 10 auf 30 Jahre nach der
Freisetzung. Die Versicherer waren
gegen derart «unkalkulierbare Risiken»
schon im Vorfeld auf die Barrikaden
gegangen. Tatsächlich geht der
Bundesrat weit über die in Europa
bestehenden Regelungen hinaus. Die
EU, so vermutet man jedenfalls im
Buwal, wird sich bei der laufenden
Überarbeitung der
Freisetzungsverordnung kaum auf eine
mehr als zehnjährige Haftungsdauer
einigen. Das Gesetz verschärft die
Haftung aber noch in einem weiteren
Punkt. So soll im Schadensfalle
ausschliesslich der GVO-Hersteller
haften, auch wenn der Landwirt den
GVO-Raps ausgebracht hat. «Das gibt
es meines Wissens weltweit nicht»,
sagte Anita Raaflaub vom
Versicherungsverband gestern
gegenüber der Nachrichtenagentur SDA
dazu (vgl. auch Kasten). Der Nachweis,
dass der allfällige Schaden tatsächlich
durch das vom Hersteller in Verkehr
gebrachte Saatgut verursacht wurde,
obliegt hingegen dem Kläger bzw. der
Klägerin. Damit besteht grundsätzlich
dieselbe Situation, wie bei Regressen
von Lungenkrebskranken auf die
Tabakindustrie.
Diese Änderungen des
Umweltschutzgesetzes von 1995 hat
der Bundesrat gestern zuhanden des
Parlaments verabschiedet. Die politisch
ebenso heiklen
Ausführungsverordnungen sollen noch
vor der parlamentarischen Beratung an
die Hand genommen werden, wie Roch
ankündigt. Damit könnten die
Bestimmungen innert einem bis
anderthalb Jahren unter Dach und Fach
sein.
Kasten: Haften mit 20 Millionen
psp. 30 Jahre lang sollen Hersteller von
gentechnisch veränderten Organismen
(GVO) für jegliche Schäden haften, die
ihr Produkt verursacht. Das sieht die
Genlex gemäss Bundesrat vor. Die
Dauer komme nicht von ungefähr,
erklärte Umweltminister Moritz
Leuenberger, sondern sie entspreche
«einer Generation»: Dem Zeitraum, in
welchem die allfällige Schädigung von
Nachkommen feststellbar wird.
Harmloser als Atomkraft?
Weniger klar ist die Frage, weshalb ein
Hersteller von GVO für die Freisetzung
eine Schadenersatzgarantiesumme von
lediglich 20 Millionen Franken
nachweisen muss: Das ist der Betrag,
für den er mindestens geradestehen
kann, wenn etwas passiert. Bezogen
auf das Unfallausmass wird die
Gentechnologie indes nicht nur von
Kritikern mit der Kernkraft verglichen,
die beispielsweise mit einem Ereignis
gigantische Schäden anrichten kann.
Die Schweizer Atomkraftwerke haften
beschränkt mit jeweils 500 Millionen.
Dagegen nehmen sich die 20 Millionen
für GVO-Risiken sehr bescheiden aus.
Zwar ist die Haftung des Herstellers
nach oben nicht begrenzt. Das ist aber
Theorie: Verfügt das haftbare
Unternehmen nach einem Schadenfall
über keine Mittel mehr und geht
konkurs, dann begrenzt sich die
Haftung von selbst. Die Festlegung des
Betrags beruhe auf Schätzungen von
Versicherungen und Unternehmen der
Biotech-Industrie, erklärte Christoph
Zäch, Leiter der Abteilung Recht im
Buwal. Er müsse aber bei der
Anpassung der Verordnung wohl noch
überarbeitet werden, sagte Zäch am
Mittwoch.