"Gutmeinende Menschenzüchter"

Gesundheitsmedizin oder Menschen nach Mass? Der berühmte Aktivist Jeremy Rifkin setzt sich für einen sanften Gebrauch der Gentechnik ein.

Mit Jeremy Rifkin sprach Volker Stollorz

Sie behaupten, das 21. Jahrhundert werde nicht der Computer prägen, sondern die Biotechnologie. Wieso?

Wir erleben derzeit die Fusion zweier mächtiger, bisher separat verlaufender Technologierevolutionen, der Bioinformatik und der Genomik. Die Industriegesellschaft entwickelt sich weg von ihrer bisherigen Ressourcenbasis: Statt Erdöl, Metallen und Mineralien entdeckt sie einen neuen Rohstoff: Gene. Im beginnenden biotechnologischen Zeitalter wird sich die wahre ökonomische Mission der Computer offenbaren: Sie sind die unerlässlichen Helfer, mit denen wir die unvorstellbar komplexe Welt der Gene kommerziell managen können.

Sie vergleichen die Wunschträume der Genetiker mit denen der Alchimisten im Mittelalter. Wo sehen Sie da eine Parallele?

Die Alchimisten im Mittelalter wollten die natürliche Welt perfektionieren. Sie verstanden sich als Geburtshelfer, die unedle Materialien durch Feuertechnologien in Gold verwandeln wollten. Das Edelmetall repräsentierte für sie den vollendeten Zustand einer unsterblichen Natur. Die "Algenisten" treibt die Idee an, eine zweite Schöpfung zu kreieren. Sie wollen nicht Metalle, sondern den Code des Lebens knacken und umwandeln, damit er perfekter funktioniert als die erste Schöpfung. Im Hintergrund steht der Traum der Erbsubstanz als verkörperter Unsterblichkeit.

Für einen der wichtigsten Informatiker dieses Jahrhunderts, Norbert Wiener, waren Lebewesen nur noch "Muster", die eine Botschaft sind und als Botschaft übertragbar. Ist der Materie-Energie-Umwandler im Raumschiff Enterprise die ultimative Sehnsucht der Algenisten?

Natürlich ist das Fiktion, aber die Möglichkeit, alle Organismen und Ökosysteme auf Information zu reduzieren und diese dann zu verwenden, um die Grenzen von Zeit und Raum zu überwinden, ist der grösste Traum der Biotechnologie.

Zurück zur Realität. Sie lehnen Eingriffe in die Geschlechtszellen - die sogenannte Keimbahn - des Menschen kategorisch ab und plädieren dafür, die Biotechnologierevolution für eine sanfte Medizin einzuspannen. Wie soll die aussehen?

Ein sanfter Weg wäre, das explosionsartige anwachsende genetische Wissen für eine Gesundheitsmedizin einzusetzen. Wir lernen jetzt erstmals, wie Essen, Bewegung und viele andere Umweltfaktoren mit dem genetischen Programm interagieren, wann daraus genetische Webfehler im Erbgut entstehen. In wenigen Jahren werden wir DNS-Chips haben, die uns zeigen, welche Gene an- und abgeschaltet werden, wenn wir ein Stück Fleisch essen, und welche Spuren das im Körper hinterlässt. Statt allgemein zu sagen, esst mehr Gemüse gegen Krebs, können wir dann jedem einzelnen präzise raten, welche Früchte er aufgrund seiner persönlichen genetischen Risikofaktoren am besten verzehrt. Genetisches Wissen schützt dann individuell vor Krankheiten, ohne die Umweltfaktoren auszublenden.

Sie unterscheiden einen sanften und einen harten Weg der Genmedizin.

Wir können uns entscheiden, wofür die Forschungsgelder ausgegeben werden sollen. Für die Manipulationen am Erbgut oder für eine präventive Genmedizin. Wollen wir genetische Reparaturen wie die Keimbahntherapie zukünftiger Generationen, oder lernen wir Krankheiten mit Hilfe raffinierter Gentests vorzubeugen? Im Moment dominiert der harte Weg, doch das könnte sich wieder ändern. Verbraucher machen Märkte. Dies erleben wir jetzt mit Gentech-Lebensmitteln in den USA.

Sie befürchten, dass die Gesellschaft schon bald wie selbstverständlich zwischen guten und schlechten Genen wählen wird. Warum ist das beängstigend?

Bei der neuen Eugenik wird es nicht um politische Demagogen wie Hitler gehen, die von Herren-Rassen träumen. Es gibt auch keine kommerzielle Verschwörung hin zur schönen neuen Welt, im Gegenteil. Die neuen Menschenzüchter werden als gutmeinende, serviceorientierte, rein kommerzielle Eugeniker ihre Dienste anpreisen. Wenn unsere Kinder in 15 Jahren heiraten, werden sie als Paar mit ihrem DNS-Chip in die Arztpraxis gehen. Dort erfahren sie, welche Krankheiten ihrem Nachwuchs drohen könnten.

Was ängstigt Sie daran, dass Eltern gesunde Kinder zeugen wollen und dafür die Gentechnologie in Anspruch nehmen?

Das ist menschlich, klar. Aber wenn die kommerzielle Eugenik Wirklichkeit wird, dann wandelt sich der Kinderwunsch zur ultimativen Shopping- Erfahrung. Die Eltern werden zu Architekten ihres zukünftigen Kindes. Sie betrachten sein Leben als ein unvollendetes Kunstwerk, und es wird zu ihrer Pflicht, es zu vollenden, genauso wie die Alchimisten im Mittelalter die unedlen Metalle zu veredlen suchten. Jedes Paar wird vor der Verantwortung stehen, welche Gene einprogrammiert werden sollen, und das kann geradewegs zur Ausrottung unwerten Lebens führen.

Bei einigen Erbanlagen - etwa bei schwersten Erbkrankheiten - wird das den meisten Eltern womöglich nicht schwerfallen.

Es gibt sicher eindeutige Fälle. Aber auch bei diesen gibt es einen oft übersehenen Haken: Die Forscher lernen allmählich, dass viele dieser angeblichen "Gendefekte" das Überleben der Menschheit in wechselnden Umwelten gesichert haben. Das Gen der Sichelzellanämie hat unsere Vorfahren vor Malaria geschützt, das Gen für zystische Fibrose schützte die Menschen womöglich vor der Ausrottung durch Typhus. Merzen wir solche Gene aus der Bevölkerung aus, wird die Menschheit zur Monokultur, deren evolutionäre Zukunft gefährdet ist.

Nicht dem Markt überlassen

Aber das einzelne Elternpaar wird sagen, o. k., der Erhalt dieser Gene mag vorteilhaft sein für die Menschheit, aber wir wünschen uns trotzdem ein gesundes Kind.

Das ist verständlich, aber denken Sie auch an das umprogrammierte Kind. Der Nachwuchs wird in gewissem Sinne versklavt, sein genetisches Make-up ist konfiguriert wie ein Computer. Diese Konstellation wird in einen neuen Generationenkonflikt münden. Wer Leben wie eine Ingenieurkunst betrachtet und es entsprechend programmiert und perfektioniert, der verliert wahrscheinlich Toleranz und Empathie für alles, was von diesen selbstgemachten Standards abweicht.

Wie kann dieser gefährliche Trend gestoppt werden, wenn jeder doch nur das Beste für sein Kind will und der Markt dieses Bedürfnis bedient?

Nun, das sind die politischen Konflikte der Zukunft, wie halten wir es mit dem Wert des Lebens. Ich würde sagen, dass die Keimbahntherapie keine Entscheidung des Marktes und der Verbraucher sein darf, weil ihre Auswirkungen alle zukünftigen Generationen und die Evolution unserer Art als Ganzes betrifft. Sie gehört daher für immer verboten.

Werden zukünftige Generationen derartige Verbote akzeptieren?

Die jetzt in den Vereinigten Staaten heranwachsende Generation wird bereit sein, die Keimbahn ihrer Kinder zu therapieren. Sie wird die Natur als fehlerhaft ansehen, die es zu perfektionieren gilt, weil sie diese Botschaft schon von Kind an gelernt haben. Das ist ja das Erschreckende. In den amerikanischen Schulen erziehen wir bereits jetzt Kinder, die lernen, dass die Gene unser Schicksal bestimmen. Wir deklarieren Millionen Kinder als verhaltensauffällig, als angeblich hyperaktiv und mit gestörter Aufmerksamkeit. Denen wird heute gesagt, du wirst damit geboren, nimm eine Pille dagegen. Die soziale Umwelt wird dabei total ausgeblendet. Die besten Forscher suchen nach Genen für antisoziales und aggressives Verhalten und wollen diese "Störungen" therapieren. Vor zwanzig Jahren hätten wir über derartige Ergebnisse nur gelacht. Heute nehmen wir sie als Fakten hin. Das macht mir angst.
 
 
Jeremy Rifkin: Das Biotechnologische Zeitalter: Die Geschäfte mit der Genetik. C. Bertelsmann Verlag, 1998, 41.50 Fr. 

Jeremy Rifkin
Das US-Nachrichtenmagazin "Time" sah ihn als "meistgehassten Mann" der Wissenschafter, sich selbst bezeichnet Jeremy Rifkin als Trendsetter. Der 53jährige Aktivist begann seine Karriere als Gentechnik-Kritiker Ende der siebziger Jahre, als er versuchte, die erste Patientierung eines gentechnisch veränderten Organismus gerichtlich anzufechten - vergeblich. Damals gründete er die Stiftung für ökonomische Trends in Washington. Ob im Kampf gegen die erste Freisetzung eines gentechnisch veränderten Organismus oder beim Boykott gegen das Gentech- Rinder-wachstumshormon, stets startet Rifkin weltweit öffentlichkeitswirksame Kampagnen.(vst)