Tages-Anzeiger 26.10.1998
Gentests zulassen, aber streng kontrollieren: So lautet
die
Meinung von Bürgerinnen und Bürgern in der
Schweiz. Sie
fordern auch eine unabhängige Beratung.
Von Rosmarie Waldner, Basel
24 Männer und Frauen aus der ganzen Schweiz befragten
am Freitag
in Basel rund ein Dutzend Fachleute öffentlich zum
Thema genetische
Tests im Rahmen des "Dialogs zur Gendiagnostik". Zwar
ist dabei
eher eine Anhörung als ein Dialog herausgekommen,
doch die Fragen
der Laien haben aufgezeigt, wo der Schuh drückt.
Sie konzentrierten
sich vornehmlich auf die drei Bereiche Ethik, Beratung
und
Datenschutz. Durchgeführt wurde die Veranstaltung
von 16 privaten
Organisationen aus dem Gesundheitswesen, den Versicherungen,
der
Pharmaindustrie sowie dem Bundesamt für Justiz (BfJ).
Gentech-kritische Organisationen sind jedoch darin nicht
vertreten.
"Wir verstehen diesen Dialog als eine Form der Vernehmlassung
des
Entwurfs zum Bundesgesetz über genetische Untersuchungen
am
Menschen, welcher der Bundesrat Ende September veröffentlicht
hat", sagte BfJ-Vertreter Hermann Schmid in Basel.
An die Adresse des Parlaments
Ständerat Gian-Reto Plattner (SP, BS), Initiator
der Veranstaltung,
hat vor, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger
auch ins Parlament
zu tragen. Ein von der Trägerschaft verfasster und
vom Bürgerpanel
mit einem Kommentar versehener Schlussbericht soll bis
Ende Jahr
erscheinen. "Es ist wichtig, auch die kleinen Leute in
solchen Fragen
ernst zu nehmen", sagte Reinhilde Rusch, kaufmännische
Angestellte
und Teilnehmerin am Bürgerpanel. "Eine einmalige
Chance, an einem
solchen Prozess teilzunehmen und vielleicht etwas bewegen
zu
können", umschrieb auch Sportlehrer Andreas Krummenacher
seine
Beweggründe zum Mitmachen. Die Bürgerinnen
und Bürger haben
sich gewaltig ins Zeug gelegt und ins Thema eingearbeitet,
wie sich in
Basel gezeigt hat - ein Beweis dafür, dass sich
Laien durchaus mit
komplexen und politisch relevanten Fragen angemessen
auseinandersetzen.
Fast wöchentlich wird irgendein neues Gen identifiziert,
und die Zahl
der möglichen Gentests steigt rasch an. In Zukunft
wird man Hunderte
von Erbfaktoren eines Menschen gleichzeitig untersuchen
und damit
das genetische Profil eines Menschen bestimmen können.
Dieser
breiten Anwendung der Gendiagnostik stehen die am Dialog
beteiligten Laien skeptisch gegenüber. "Die Gesellschaft
fällt
zunehmend auseinander. Man muss etwas dagegen unternehmen",
fasste Reinhilde Rusch die Sorge um Ausgrenzung von Betroffenen
zusammen, die Gentests mit ungünstigem Ergebnis
provozieren
könnte.
Kein Zwang zum Test
Den Datenschutz gegenüber Arbeitgebern oder Versicherungen
hochzuhalten, ist deshalb ein wichtiges Anliegen der
Bürgerinnen und
Bürger. Keinesfalls sollen Gentests gegen den Willen
der Arbeit- oder
Versicherungsnehmer erzwungen werden können. Die
Praxis der
Gentests soll überhaupt streng kontrolliert werden.
Über die ärztliche Aufklärung hinaus wünscht
sich das Bürgerpanel
bei allen Gentests eine umfassende und vor allem unabhängige
Beratung. "Die Ärztinnen und Ärzte verdienen
doch an der
Untersuchung", sagte ein Panelteilnehmer. Sie soll auch
interdisziplinär
sein, neben medizinischen auch psychologische, soziale
und religiöse
Aspekte umfassen. Denn wer von einer in Zukunft auftretenden,
schweren Krankheit bedroht ist oder sich für oder
gegen einen
Schwangerschaftsabbruch entscheiden muss, benötigt
kompetente
Unterstützung. Wo Gentests Grenzen zu setzen sind,
diese Frage
wollen die Bürgerinnen und Bürger auch nicht
einfach den Ethikern
oder ethischen Kommissionen überlassen. "Ethik ist
eine Aufgabe der
ganzen Gesellschaft", bekräftigten mehrere Sprecherinnen
und
Sprecher von Laienseite.