Tages-Anzeiger 18.2.2000
Statt riesige Geldmengen in Genforschung zu
investieren, fordert Swissaid eine stärkere Förderung
der tra- ditionellen Landwirtschaft.
Von Monika Zech, Bern
"Täglich sterben 5000 Kinder an Hunger. Einzeln, irgendwo auf
der Welt. Würden diese Kinder zusammen in Jumbojets
abstürzen, würde von einer unfassbaren Katastrophe
berichtet." Mit diesen Worten eröffnete am Donnerstag Bruno
Riesen, leitender Sekretär der Swissaid, die Konferenz der
Hilfsorganisation. Hunger sei aber die grösste Katastrophe der
Welt.
Eine neue Fallgrube
Ein grosser Irrtum beruhe im Glauben, mit Hilfe der
gentechnologischen Landwirtschaft könne der Hunger
beseitigt werden, betonte Hans Rudolf Herren, Forscher und
Welternährungspreisträger aus Nairobi. Wichtiger, als
genverändertes Saatgut einzuführen, seien
Produktionsmöglichkeiten, die sich die Bauern des Südens
auch leisten können. Früher hätten die Chemiemultis den
Bauern den Einsatz von Pestiziden empfohlen, heute würden
sie mit genmanipulierten Pflanzen werben. Herren befürchtet,
dass die gleichen Fehler begangen würden wie in den
vergangenen Jahren. Die Bauern würden in die nächste
Fallgrube gestossen: Der Ertrag werde nicht höher, die
Produktionskosten dagegen schon.
Deshalb setzt Swissaid auf lokal angepasste und
umweltschonende Anbaumethoden. Diese seien billiger und
müssten den Vergleich mit chemie-intensiven
Produktionstechniken nicht scheuen. Studien hätten gezeigt,
dass ein gewöhnlicher Regen genüge, um eine Ernte zu
verdoppeln oder gar zu verdreifachen. So möchte das
Hilfswerk die Bauern von ihren früheren Methoden überzeugen
und dazu beitragen, dass sie ihre Erfahrungen untereinander
intensiver austauschen. Daneben müsse man ihnen den
Zugang zu Krediten erleichtern, um ihnen die nötigen
Investitionen und eine gewisse Unabhängigkeit zu
ermöglichen. Ein sicheres Einkommen der Kleinbauern in
diesen Ländern sei der Grundbaustein gegen die Armut.
Mehr Mittel für die konventionelle Agrarforschung müssten zur
Verfügung gestellt werden. Dazu brauche es eine bessere
Investitionspolitik zum Beispiel der Weltbank. Wie ungleich
verteilt die Gelder zur Zeit seien, könne man deutlich an der
Einrichtung der afrikanischen Labors sehen, ergänzte Herren.
Während in modernen Gen-Labors alles glänze, würden in
traditionellen Forschungsanstalten zerbrochene
Fensterscheiben hängen. Sie hätten zu wenig Geld für die
Einrichtung.
Ein positives Signal an die Entwicklungsländer aus Schweizer
Sicht wäre ein zehnjähriges Freisetzungs-Moratorium für
gentechnisch veränderte Organismen, meinte Miges Baumann
von der Swissaid-Informationsstelle. Es wäre ein
Motivationsschub für jene Kräfte im Süden, die sich für
eine
nachhaltige Landwirtschaft einsetzen. Das Hilfswerk kritisierte
darum den Beschluss des Bundesrats zur Gen-Lex, in dem er
sich gegen ein Moratorium ausgesprochen hatte. Es rief das
Parlament dazu auf, diesen Entscheid zu korrigieren.
Andernfalls prüfe man eine entsprechende Volksinitiative.
Inkonsequenter Norden
Völlig unglaubwürdig machen sich die industrialisierten Länder
laut Herren zudem, wenn sie den Bauern des Südens
einerseits Pestizide verkaufen und ihnen andererseits die
Produkte aus ökologischen Gründen nicht mehr abkaufen
wollen. So bringe man sie um ihr Einkommen. Der
Welternährungspreisträger erwähnte ein Beispiel aus Kenya:
Dieses Land exportiere nebst einigen Früchten viel Gemüse
nach Europa. Während der letzten 20 Jahre seien dort die
rund zwei Millionen Bauern von den Chemiekonzernen
angehalten worden, Pestizide einzusetzen. Die EU hätte nun
neue Richtlinien bezüglich maximaler Pestizidrückstände
beschlossen. Ab Juli dieses Jahres treten diese in Kraft. Die
kenyanischen Bauern müssten also innerhalb weniger Monate
umstellen können. Wenn sie es nicht schaffen würden,
verlören viele ihre Existenzgrundlage. Wie sie das
bewerkstelligen sollten, sei ihm aber ein Rätsel.