Der perfekte Mensch kommt aus der Retorte

Gentests an Embryos im Reagenzglas sollen verboten bleiben, sagen Bundesrat und Nationalrat - doch die Präimplantationsdiagnostik (PID) hat nicht nur Feinde.

Von Tobias Frey

Ein Protokoll aus dem Rambam Medical Center in Haifa, Israel: "Die Chromosomen von 73 Embryos wurden auf ihre Qualität hin untersucht. Bei fünf von ihnen testeten wir zusätzlich die Chromosomen X, Y, 13, 18 und 21 auf überzählige Kopien. 32 Embryos wurden in zehn Frauen transferiert. Daraus resultierten zwei Schwangerschaften, zwei gesunde Kinder kamen auf die Welt."

Technisch und nüchtern, dieser Bericht von zwei Geburten. Er könnte auch aus England stammen, aus Italien, Belgien oder den Vereinigten Staaten. Aber nicht aus der Schweiz, auch in Zukunft nicht, wenn es nach dem Willen von Bundesrat und Nationalrat geht. Auch wenn die künstliche Befruchtung zugelassen ist - die genetische Analyse des Embryos im Reagenzglas ist untersagt. Das Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) ist neben der Eispende letzter umstrittener Punkt im neuen Fortpflanzungsmedizingesetz. Am kommenden Montag muss der Ständerat entscheiden, ob er sich weiterhin gegen das Verbot stellen will.

400 In-vitro-Befruchtungen pro Jahr

Nicht umsonst ist die PID heftig umstritten: Gegnerinnen und Gegner befürchten einen weiteren Schritt hin zu einer vorgeburtlichen Selektion, gar zur Eugenik: einem gezielten Programm zur Verhinderung der Fortpflanzung genetisch Kranker. Die PID könnte auch der Geschlechterbestimmung Tür und Tor öffnen. Und zudem bestehe - weil die PID mehr Embryos erfordert, als tatsächlich eingepflanzt werden - die Gefahr einer künftigen Embryonenforschung. Das heutige Verbot würde aufgeweicht. Verena Soldati vom Basler Appell gegen Gentechnologie: "Alle wollen gesunde Kinder, und ich verstehe das. Doch wir müssen uns auch die Konsequenzen überlegen."

Befürworter der PID, allen voran die praktizierenden Gynäkologen in den achtzehn Schweizer Zentren für In-vitro-Fertilisation, sind frustriert: Sie können die Früchte ihrer Arbeit nicht überprüfen, bevor sie die Embryos in die Gebärmutter der Frau transferieren. 400 waren es im vergangenen Jahr. Michael Kurt Hohl vom Kantonsspital Baden: "60 Prozent der eingepflanzten Embryos sind krank - und wir sehen es ihnen nicht an." Estolla Maurer vom Universitätsspital Zürich: "Wir kennen eine Methode, die Leid verhindert, und wir dürfen sie nicht anwenden."

Schwangere Frauen mit Embryonen aus der Retorte müssen sich der gleichen Prozedur unterziehen wie alle anderen auch, wenn sie die Erbkrankheit ihres Kindes überprüfen möchten: Ultraschall, Fruchtwasserpunktion oder Chorionbiopsie. Und unter Umständen denselben schweren Entscheid fällen: Abtreiben. Nach all den körperlichen und seelischen Strapazen, die eine künstliche Befruchtung ohnehin mit sich bringt.

Kein Wunder, tun sich auch die Ethiker schwer - und kommen prompt zu verschiedenen Schlüssen.

Wie getestet wird

Die Präimplantationsdiagnostik kann nur bei der künstlichen Befruchtung angewendet werden. Der Frau werden nach einer Stimulierung der Eierstöcke die herangereiften Eizellen abgesogen und im Reagenzglas mit dem Sperma des Mannes befruchtet. Zwei bis drei Tage später wird dem Embryo - der mittlerweile aus acht bis zehn Zellen besteht - mit der Mikropipette eine Zelle abgesogen und genetisch untersucht: Überzählige oder defekte Chromosomen können einfach festgestellt werden. Bekanntestes Beispiel: ein drittes Chromosom 21, das zum Mongoloismus, zum Down-Syndrom, führt. Doch je länger, je mehr können auch Einzel-Gen-Defekte erkannt werden, die zu schweren Erbkrankheiten führen. Über ein Dutzend sind es heute, auch Zystische Fibrose oder eine Form des Muskelschwunds. Krankheiten, die kaum eine Lebenserwartung von mehr als zwanzig, dreissig Jahren zulassen.

Gentest auf dem Chip

Das Hammersmith-Spital in London ist PID-Pionier und führt Buch: Seit der Einführung der ersten Methode 1989 wurde die Diagnosetechnik auf der ganzen Welt über 700mal eingesetzt. Über die Hälfte betraf Frauen im Alter über 35 Jahren, um den Transfer von chromosomal abnormalen Embryos zu verhindern. Aus diesen Versuchen wurden, so ein Sprecher des Spitals, 166 PID-Kinder geboren.

Doch mittlerweile stehen nicht mehr nur die schwersten aller Erbleiden im Zentrum der weltweiten Diskussion: Gerade das Hammersmith-Spital hat kürzlich einen neuen PID-Test veröffentlicht gegen eine bestimmte Form des Darmkrebses - die erst nach dem 50. Lebensjahr auftritt. Immer mehr Methoden werden etabliert, um auch geringfügige genetische Nachteile nachzuweisen. Santiago Munne ist Leiter eines Instituts in West Orange in New Jersey. Er schrieb kürzlich in einer Fachzeitschrift: "Wahrscheinlich wird es nicht mehr lange dauern, bis das Erbgut einer einzigen Zelle vervielfältigt und auf einem Gen-Chip mit Hunderten oder Tausenden von genetischen Markern geprüft werden kann, um alle Chromosomendefekte aufzuspüren." Damit rückt auch die Möglichkeit zur Erzeugung eines perfekten Menschen in die Nähe. Eine Fiktion wird Wirklichkeit.